Schloss Freudenberg

Into the dark – Nachtmahl in totaler Finsternis

Es ist kein Restaurantbesuch, wie ich ihn sonst mache. Meine Kamera benötige ich nicht. Meine Augen auch nicht. Das „Nachtmahl“ ist ein absolut außergewöhnliches Erlebnis. Nichts für Angsthasen oder Leute, die das Dunkle fürchten und auch nichts für Klaustrophobiker. Aber für alle, die Lust haben, sich auf eine olfaktorisch-gustatorische Sinnesreise einzulassen, ist es eine unvergleichliche Erfahrung. Essen ohne Licht bedeutet, die ungeteilte Aufmerksamkeit auf das Geschmackserlebnis zu lenken und sich auf seine Geschmacksknospen und den Geruchsinn zu verlassen.

„Wir wollen Euch hinter’s Licht führen“ so die Ankündigung von Suzann und Arun, die uns durch den Abend begleiten. Doch zunächst einmal werden wir vom Licht weggeführt. Unsere kleine Gruppe von 16 Personen wird in noch kleinere Grüppchen unterteilt. Nachdem wir uns im Schloss-Foyer am Kaminfeuer getroffen und ein bisschen über unsere Erwartungen ausgetauscht haben, begeben wir uns ein Stockwerk tiefer.

 DER DUNKELGANG

Bis hierher haben es alle geschafft, doch nun erwartet uns die erste Mutprobe. Wir müssen durch einen Dunkelgang durch, um zum Gastraum des Nachtmahls zu gelangen. Suzann und Arun nehmen abwechselnd vier, fünf Leute mit auf den Weg. Ganz kurz beschleicht mich ein bisschen Angst, denn wir alle wissen, wie schwer es schon ist, sich im Dunklen in einem bekannten Raum zurecht zu finden. Wie soll man da erst in einer Räumlichkeit, die man noch nie gesehen hat, klarkommen? Ein Tipp aus eigener Erfahrung: Man muss Halt finden – am Vordermann, an einer Wand, die man als Führung nimmt und an der man sich langhangelt. In klitzekleinen Trippelschrittchen lassen wir uns auf das Abenteuer ein. Da Suzann oder Arun jeweils vorweggehen, ist man nicht allein und es kann nichts passieren. Doch Achtung, es geht auch ein bisschen herunter, der Untergrund ist an manchen Stellen glatt (abgewetzt?) und daher ein bisschen rutschig und es gibt auch zwei Stufen. Alle mit Ausnahme eines Pärchens, das plötzlich Panik bekommt und abbricht, schaffen es ins „Restaurant“. Doch auch für das ausgeschiedene Paar gibt es eine Lösung: Sie dürfen im Schloss-Café Platz nehmen und dort mit Augenmasken das Menü kosten.

Da sitze ich nun mit einer Gruppe unbekannter Menschen in einem komplett finsteren Raum. Zwei Freundesgruppen, davon eine aus Heidelberg angereist, zwei ältere Damen aus der Nähe von Kassel, Wiesbadenerinnen und Wiesbadener, ein Pärchen aus Hofheim – die Truppe ist bunt gemischt.

EINE KLEINE ÜBERRASCHUNG ZU BEGINN


Zunächst einmal sind wir damit beschäftigt, uns auf unserem Platz zurecht zu finden. Wo liegt das Besteck? Wo ist das Glas? Und dann: Wie schenke ich mir denn Wasser ein, nachdem ich eine Wasserflasche gefunden habe? Ich mache es nach Gefühl, eher zu wenig als zu viel, andere halten einen Finger als Messlatte herein. Ich tausche ein paar Worte mit meiner Sitznachbarin, die sehr nett klingt. Eine schöne, angenehme Stimme, fällt mir auf. Vieles, was sonst Teil eines Restaurantbesuchs ist, entfällt hier. Ich sehe nicht, wie der Tisch eingedeckt ist, welche Farbe die Tischdecke hat. Nur dass eine da ist, spüre ich. Und was spüre ich da noch? Eine kleine Überraschung gleich zu Beginn. Ich möchte nichts vom Menü verraten, da es nicht ständig, sondern saisonal wechselt. Nur so viel: Nicht alle kennen sie (die Überraschung), aber wenn man sie kennt, dann verwechselt man sie eigentlich auch nicht. Klingt das, als würde ich in Rätseln sprechen? Über was soll ich eigentlich schreiben, wenn ich nichts sehe und das Menü nicht verraten möchte, da der Spaß sonst weg wäre? Es ist ein Erfahrungsbericht der etwas anderen Art….

 

DAS ESSEN BEGINNT.

Jetzt geht es los: Zunächst bekommen wir eine Suppe serviert. Doch schon das Servieren ist alles andere als normal. Ich bin überrascht, wie gut sich Suzann und Arun so schnell alle Namen merken und jeden richtig ansprechen. „Julia, hier ist Deine Suppe.“ Ich höre, wo die Stimme herkommt und strecke instinktiv meine Arme in diese Richtung aus, um sie in Empfang zu nehmen und es funktioniert erstaunlich gut. Es duftet schon einmal köstlich: Vorhang auf für das Spiel der Sinneseindrücke. Die Regeln sind klar: Alle kosten, zunächst sagt niemand, was er vermutet, damit sich jeder ein Geschmacksbild machen kann. Welche Geschmacksrichtungen sind vertreten? Schmeckt es fruchtig? Süß? Salzig? Ist die Suppe vielleicht scharf? Welche Konsistenz hat die Suppe? Ist sie dick oder dünnflüssig?

Suzann fragt: „Was glaubt ihr, welche Farbe die Suppe hat?“ Das Spannende: Die Gruppe ist sich fast einhellig sicher bei der Farbgebung und liegt doch voll daneben. An der Stelle kann ich es mir nicht verkneifen mit ein bisschen Stolz zu sagen, dass ich anderer Meinung war. Berufsvorteil. ;-) Das Schmecken ist eben mein Metier und hat mich in meiner Wahrnehmung nicht getäuscht.

 

AMUSE-BOUCHE

Dann kommt das Amuse-Bouche. Ein Teller mit mehreren Komponenten. Hier ist schon das Ertasten spannend. Ja, man darf das Essen hier mit den Fingern anfassen und bei dem ein oder anderen werden hier älteste Kindheitserinnerungen wach. Schon das Ertasten verschiedener Formen und Texturen ist spannend. Ob man allein vom Ertasten erraten kann, was es ist? Die Überraschung bei der Auflösung ist bei manchen Bestandteilen des Küchengrußes doch größer als angenommen. Und einige Komponenten des Essens sind schwerer zu benennen als gedacht. Auch so eine eigenartige Sache: Man schmeckt, kennt den Geschmack, weiß, was es ist, nur kann man es nicht benennen. Als wäre das Wort nur ans Bildliche, nicht jedoch an den olfaktorisch-gustatorische Sinneseindruck geknüpft. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass der Geschmacks- und Geruchsinn weitaus älter ist als unsere visuelle Wahrnehmung, da er sich bereits im Mutterleib herausbildet? Faszinierend ist es allemal. Deswegen sprechen uns Geruchs- und Geschmackssinn, die übrigens stark miteinander verknüpft sind, vermutlich auch auf einer tieferen Ebene an. Vielleicht geht Liebe deswegen durch den Magen und man kann sich in das Herz eines Menschen kochen? Doch das ist nur eine Überlegung am Rande.

Kleiner Exkurs zum Thema Geschmack

Vielleicht ist an der Stelle auch einmal angebracht, kurz darüber nachzudenken, was wir allgemein unter „Geschmack“ verstehen. Im Grunde ist es ein Paket aus Sinneseindrücken: Nicht nur die Geschmacksqualitäten, die von der Zunge wahrgenommen werden, sondern auch der Geruch, die Beschaffenheit und die Temperatur einer Speise spielen eine Rolle. Die „Färbung“/Wahrnehmung des Geschmacks erfolgt über die Nase, erst zusammen mit dem Geruch entsteht das Aroma eines Lebensmittels. Ist der Geruchssinn gestört – etwa bei einem Schnupfen – ist meist auch die Geschmackswahrnehmung beeinträchtigt. Daher sollte man das Nachtmahl keinesfalls erkältet besuchen, da man sich um das sinnliche Erlebnis bringen würde, mal abgesehen davon, dass es rücksichtlos gegenüber allen anderen Gästen wäre.

SCHON WIEDER EINE ÜBERRSCHUNG… 

 Zurück zum Nachtmahl. Wie in einem Restaurant gibt es auch hier verschiedene Gänge. Dazwischen bekommen wir einen „Überraschungssaft“ gereicht – ich kenne den Geschmack, weiß ganz genau, was es ist und plötzlich erwischt es selbst mich und mir fehlen die Worte. Mein Geschmackssinn hat mich nicht verlassen, nur funktioniert die Übersetzung ins Sprachliche gerade nicht. Als dann jemand einen Vorschlag macht, was es ist, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Da ist das Wort für den Geschmack.

Bevor ich zum Hauptgang komme, bemerke ich, dass ich bis jetzt, obwohl es komplett finster ist, mit offenen Augen dasitze. Warum eigentlich? Aus Angst vor Kontrollverlust?  Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass wir die Augen nur längere Zeit am Stück schließen, wenn wir schlafen und der ein oder andere unter uns zum Meditieren. Daher sind wir es nicht unbedingt gewöhnt, die Augen im wachen Zustand über mehrere Stunden zu schließen. Doch in dem Moment, wo ich die Augen schließe, merke ich, dass ich jetzt Vertrauen habe. Mich einigermaßen sicher fühle, loslassen und mich noch mehr auf die Sinneswahrnehmungen einlassen kann. Ab jetzt passiert eine Art Innenschau, eine äußerst spannende Erfahrung. Doch gleichzeitig überfällt uns alle ab einem bestimmten Punkt auch ein wenig die Müdigkeit. Die Dunkelheit lässt uns schließlich Melatonin produzieren und der Wein tut beim einen oder anderen sein Übriges. Doch noch ist nicht Schlafenszeit.

DER HAUPTGANG 

Jetzt kommt der Hauptgang. Suzann und Arun richten in der Dunkelheit die Teller aus großen Gefäßen an, die sie vorher von der Küche durch den Dunkelgang in den Gastraum gebracht haben. Ich frage mich wirklich, wie sie das machen. Auch hier befinden sich mehrere Komponenten verschiedenster Texturen und mit unterschiedlichen Temperaturen auf dem Teller. Insbesondere eine Komponente ist schwierig zu definieren und verleitet zu unterschiedlichsten, teils konträren Annahmen und Assoziationen. Und auch nach Auflösung gibt es hierzu unterschiedlichste Geschichten. Wir kommen ins Gespräch. Spannend, was man über ein Gericht auch über Menschen erfährt. Was sie damit verbinden, wo sie es gegessen haben. Wie es zubereitet wurde. Warum sie es hassen oder lieben.

 

GAUMEN-ZIRKUS

Nachdem wir jetzt alle schon ein bisschen geübt sind, wird es beim „Gaumen-Zirkus“, einem Teller mit vielen ganz unterschiedlichen Kleinigkeiten, nochmal spannend. Kein Gericht, sondern einfach einzelne Lebensmittel. Das eine fühlt sich glitschig und weich an, das andere fest und trocken, das dritte so klein wie ein Samenkorn. Ob es eins ist? Die Geschmacksrichtungen ergeben keine Harmonie, es ist ein Spaziergang durch verschiedenste, teils gegensätzliche Aromenwelten. Jetzt geht das Spiel so: Einer beschreibt was, das alle probieren sollen, doch da liegt auch schon die Krux, denn wenn die Beschreibung nicht genau genug ist, probiert man vielleicht was Anderes und wundert sich über die anschließende geschmackliche Einordnung. Ein lustiges Spiel, bei dem man Lebensmitteln unvoreingenommen gegenübertritt und ihnen eine wirkliche Chance gibt.

 

DAS ENDE

Und dann ist der Abend fast zu Ende. Suzann und Arun servieren uns noch einen köstlichen Nachtisch, bei dem wir uns alle sehr schnell darüber einig sind, um was es sich handelt, und nehmen die Bestellungen für einen abschließenden Kaffee oder Tee, den wir im Foyer vor dem Kamin genießen dürfen, entgegen.

 

Und so endet alles da, wo es begann. Und am Ende trennen sich unsere Wege, wir gehen ins Dunkle hinaus, das mit einem Mal gar nicht mehr so dunkel erscheint. Ich denke noch lange über das Nachtmahl nach und bin dankbar für diese bereichernde, wunderschöne Erfahrung.

FAZIT: Eine wunderbare Erfahrung für alle, die ihre olfaktorisch-gustatorische Sinneswahrnehmung auf die Probe stellen wollen und keine Angst vorm Dunklen haben. Prädikat: äußerst wertvoll und absolut empfehlenswert.

INFO

Schloss Freudenberg

65201 Wiesbaden
T: 06 11-41 101 41

W: https://www.schlossfreudenberg.de

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